Vom Jünglingsverein an die Sklavenküste:  Jakob Bihler

1860 war der Evangelische Jünglingsverein – der 1911 in CVJM umbenannt wurde – in Reutlingen gegründet worden. Am 20. März 1870 schrieb der Tuchmacher-Lehrling Jakob Bihler, ein aktives Mitglied des Jünglingsvereins, einen Brief an die Basler Mission und bat um Aufnahme in deren Seminar, um als Missionar ausgebildet zu werden. 

Mission, das hieß für Christian Gottlieb Blumhardt, den ersten Inspektor der Basler Mission: Zum einen Weitergabe der Frohen Botschaft von Gottes Liebe in Jesus Christus, und zweitens: Wiedergutmachung für die schreienden Ungerechtigkeiten, die die Europäer den schwarzen Menschen über Jahrhunderte durch Sklaverei und Ausbeutung angetan haben. Dazu drittens: Ausbildung in Handwerk und Landwirtschaft, damit – wie er es formulierte – „die Neger-Jünglinge ihren Lebensunterhalt mit eigener Hand unter dem Segen Gottes auf eigenem Boden einernten können“.

Jakob Bihler wurde am 16. Oktober 1852 als fünftes Kind des Metzgermeisters Christian Bihler und seiner Frau Maria Agnes geb. Reiff geboren. Von Anfang an war er Mitglied des Evangelischen Jünglingsvereins, den der „Oberhelfer“ (= zweiter Stadtpfarrer) Kalchreuter 1860 gegründet hatte. Im Evangelischen Vereinshaus gab es für die konfirmierten männlichen Jugendlichen jeden Abend an den Wochentagen Versammlungen, Bibelabende und Singgruppen. Häufig gab es auch Berichte aus der Arbeit der Basler Mission. Dazu kamen der frühere Indienmissionar Friedrich Müller aus Stuttgart oder Missionare, die auf Urlaub aus Indien, China oder Afrika in der Heimat waren. Zu deren Unterstützung wurde sogar eine eigene Kasse eingerichtet.

In seinem Bewerbungsschreiben nach Basel beschreibt er, dass er nach dem Abschluss der Schule nach dem Willen des Vaters das Metzgerhandwerk erlernen sollte, um den väterlichen Betrieb zu übernehmen. Aber diese blutige Tätigkeit sagte ihm gar nicht zu. So stimmte der Vater zu, dass er eine Lehre als Tuchmacher beginnen sollte. „Tuchmacher“ war die Bezeichnung für Weber, die mit Wolle feine Tuche webten, und nicht mit Lein arbeiteten, aus der die Leineweber Leinwand herstellten. So trat er 1867 beim Leineweber Louis Krumm eine Lehre an.

Dort hörte Jakob noch mehr über die Mission, denn Karl Krumm, der Bruder seines Meisters, war ein Jahr vorher ins Missionshaus in Basel eingetreten. So wuchs in ihm der Gedanke, selber auch Missionar zu werden. Seine Eltern und viele Freunde der Familie rieten ihm ab und schilderten ihm die Gefahren dieses Berufs – aber er ließ sich nicht mehr abbringen. 1870 trat er ins Missionshaus ein, durchlief die sechsjährige Ausbildung und wurde am 14. Mai 1876 in der Marienkirche durch Dekan Kalchreuther für den Missionsdienst ordiniert.

Ausgesandt wurde er an die „Sklavenküste“ in Westafrika, das ist die Region östlich der Goldküste, heute etwa die Küste des Staates Togo. Gold und Sklaven, das hatte die Europäer lange angezogen, jetzt sollte das Evangelium zur „Wiedergutmachung“ der schlimmen Schäden beitragen. Aus der Arbeit von Jakob Bihler und der anderen Missionare entstand die Presbyterianische Kirche in Ghana, heute eine Partnerkirche der württembergischen Landeskirche. Die früheren württembergischen Missionare sind in Ghana in guter Erinnerung – und in der Stuttgarter Waldkirche ist eine Migrationsgemeinde dieser Kirche zu Gast.  Jakob Bihler starb am 4. März 1880 in Anyako im äußersten Südosten Ghanas und wurde dort beerdigt.

Jürgen Quack